20.04.17

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"Echo" von Susanne Pittroff

Vermessen und Vermessenheit

Jeder Raum ist spezifisch in seinen Dimensionen: Länge, Breite, Höhe. Er hat seine Materialien und seine Oberflächen, seine Lage im Gebäude - hier einer Unterführung - und innerhalb eines städtebaulichen Konzepts und Umgebungplanes. Der Raum, den Susanne Pittroff für ihre Installation „Echo“ benutzt, ist ein unregelmäßiges Trapez, die Wände treffen sich in keinem rechten Winkel. Die Raumhöhe ist im Verhältnis zur Raumgröße und Form proportional eher seltsam. Der Raum wirkt von oben in die Breite gedrückt.
Orientiert an der Mitte der Längsseiten, steckt S.P. an der Decke mit den Anbringungen von zehn weißen Seilen ein Parallelogramm ab. Die herabhängenden Seile fasst sie unten trichterförmig an einem Punkt zusammen, wo sie als Anbringung für ein lampinonförmiges Stück Seife dienen. Die für eine Seife ungewöhnliche Größe (Ø ca. 65 cm) und damit Schwere strafft die Seile. Ihre mechanische Spannung wird für den Anwesenden sofort spürbar. Optisch ziehen diese Seile die Decke nach unten auf den Betrachter zu und an dessen Blickachse vorbei bis auf ca. 1,10m Höhe. Er blickt nicht auf die vermeintliche Skulptur, sondern auf deren Anbringung.
Der Geruch nach frischer Wäsche, dem Parfüm der Seife, breitet sich in der Raumschachtel langsam aus. Erst kaum wahrnehmbar, wird er stärker, füllt den Raum, konkurriert mit der Unwirtlichkeit der Unterführung, dringt über die Treppen nach außen und verliert sich im Stadtraum und dessen feinstaubigen Geruchspattern. Dem Geruch kann sich der Betrachter nicht entziehen, ohne Umwege bahnt der sich seinen direkten Weg in das individuelle, emotionale Geruchsgedächtnis. Dort tritt er in Konkurrenz zu dem erinnerten Unterführungsgeruch und den Bilder und Klänge im Kopf, die mit ihm verbunden sind.
Das Maximiliansforum ist eine aus einer bauliche Fehlplanung entstandene Untergrundsbrache. Seine Form erklärt sich aus seiner ursprünglichen Planung als unterirdische Fußgängerkreuzung mit Ladenpassage, die nie als solche genützt, durch den Rückbau des Altstadtrings überflüssig wurde. Mit ihr entstand ein großer, nicht definierter, nicht überwachter, öffentlicher Raum im Untergrund, der schon bald vom Lehnbachhaus als Vorgänger des Kunstbau genutzt wurde und nach dessen Ausscheiden endgültig zum Ausstellungsraum umgebaut wurde.

Durch die Umwidmung der Durchgangszone zur Aufenthaltszone wird die Verweildauer des Betrachters, der den eilenden Passanten ersetzt, erhöht. Steht er ruhig und konzentriert im Ausstellungsraum, dringt der Verkehrslärm von oben durch die Decke immer mehr in sein Bewusstsein ein. Er breitet sich in ihm wie die Seife im Raum aus. Die Raumdecke, die eigentlich Boden, bzw. Unterseite der Straße ist, wird zum Resonanzkörper der Verkehrsgeräusche. Ihr Schall wird in dem riesigen Ausstellungsraum reflektiert und hallt in der kargen Installation wieder. Die Decke arbeitet wie ein Sender, der seine Schallwellen zu dem Betrachter als Empfänger aussendet. Sie und ihr Raumecho treffen sich, vom Ohr trichterförmig gebündelt, in einem Punkt, wie die Seile die Seife.
Die Seile markieren Raumlinien für leere Zwischenräume. Der große leere Raum, wird in kleine leere Raumsegmente gegliedert, durch die der Betrachter navigieren kann. Das besondere Raumgefühl, die Raumenergie wird so erlebbar, der Raum als solcher thematisiert. Da er anders als ein Kunstmuseum nicht als ein Stück Architekturgeschichte geplant war und auch nicht wie eine Galerie als „White Cube“ funktionalisiert wurde, lebt dieser ganz aus seiner Geschichte und aus seiner besonderen Lage im Stadtraum.

Ähnlich der meisten Unterführungen seiner Tage kommt er als zweckorientierter Unraum auf die Welt. Frei von architektonischen Aussagen ist er lediglich ein Behälter für eine fußläufige Verkehrssituation. So kann er alles werden, wozu man ihn macht. Mit dem Mief seiner drückenden, düsteren Atmosphäre steht er im Gegensatz zu seiner noblen, teuren Umgebung, die sich im Narzissmus ihrer glorreichen Selbstvergewisserung und Selbstpräsentation sonnt. Ist er nach der Eröffnung und außerhalb der auf sie folgenden Veranstaltungen nicht mehr überwacht, wird er schnell zum Treffpunkt der Skaterszene, zum Übernachtungsraum für Obdachlose, oder den nicht geschriebenen Gesetzen der Großstadt folgend, zum Pissoir und Abfalleimer der nächtlichen Feiergemeinde - ein Bauch der Stadt mehr in illustrer Umgebung.

Da scheint es angebracht ein wenig reine zu machen. Frische Wäsche zu waschen. Mit Seifengeruch Hygiene und mit ihr Licht und Helligkeit, weiße Linnen, weiße Seife, weiße Lampions zu verbreiten, oder? Schade, dass die Maximiliansunterführung ein öffentlicher Raum mit einem lästigen Bleiberecht ist, das würde in Sonycenter, wo das Hausrecht des Konzerns herrscht, nicht passieren. Alles was störend, hässlich, düster und für den erwünschten, hofierten Käufer bedrohlich ist, kann prompt und proper weggeräumt werden. Demokratie muss auf der Straße nicht mehr stattfinden, wenn diese kein demokratischer Raum mehr ist. Das ist hier anders. Es ist ein Testfall für die Demokratiefähigkeit der Betreiber, wenn sie mit Magenschmerzen, das und diejenigen aus der Unterführung räumen, weg bitten, die hier nicht erwünscht sind. Es zeigt sich, dass auch coole, zeitgenössische Kunst ein diszipliniertes Zielpublikum hat.

Mitten in dieser Demokratiedebatte, die sich über die Seife in die mimimal art von Susanne Pittroff eingeschlichen hat, holt einen die Ausstellungsgeschichte des Raumes und seines berühmtesten Kunstwerkes ein. 50 Jahre ist es her, dass Joseph Beuys sein Publikum aufforderte, durch das öffentliche Zeigen ihres Verletztseins die Empathiefähigkeit einer ganzen Gesellschaft zu beleben. Das Zeigen von Verletzung und Tod, zu dessen stärksten Sinnbild „Zeige deine Wunde“ wurde, erhielt an diesem Ort, der durch seine emotionale Kälte und dem Ausgesetztsein seines Besuchers gekennzeichnet war, seine stärkste und eindringlichste, theatrale Inszenierung. Ähnlich dem Geruch der Seife konnte sich kein Betrachter, kein Passant dem Erschrecken, dem Erschaudern entziehen, das diese Installation in ihm erzeugte. Ob die angestrebte kathartische Wirkung frei nach der Definition der aristotelischen Poetik eintrat, ob das Durchleben von Jammer/Rührung und Schrecken/Schauder die Psyche infolgedessen gerade von diesen Erregungszuständen läuterte und zu einem stoischen Ideal führte, oder besser noch zu dem mitleidenden, und damit nach dem Konzept der Hamburgischen Dramaturgie Lessings, zu dem moralischsten Menschen, muss offenbleiben, da es sich einer Überprüfbarkeit entzieht.

Heute im Zeitalter der narzisstischen Vereinzelung des Individuums, das sich nur seiner Selbstreferentialität verpflichtet fühlt, löst das öffentliche Offenbaren von Schwäche schlimmstenfalls Häme und Mobbing, bestenfalls, wenn es als authentische Attitüde wahrgenommen wird, eine milde Internetpetition aus. Seit die Postmoderne die Wahrheit der Bilder durch das Zitat der Wahrheit der Bilder ersetzt hat, sind Inhalte zu Oberflächen geworden, Authentizität zur Werbemaßnahme, Emotion zum zarten, etwas schwülen Duft von Parfüm – die Zeit der Seife dräut am Horizont; nur für den Fall, dass der Narzissmus neuerdings als Gesellschaftsform nicht mehr haltbar wäre, da er wie durch die Seifenlauge eines durchaus authentischen Erlebens von Krieg, Tod, Vertreibung, Flucht als Bestandteil einer sich gerade formierenden, neuen, urbanen Gesellschaft ausgeschwemmt würde.

Eine überdimensionale Seife in der Form einer gängigen Lampenform, die ein blasses Echo einer Skulptur ist, tritt in ein gespanntes Verhältnis zu Nylonseilen, die wie Vermessungslinien auf die Dimensionen des Raumes und seine akustischen Phänomene verweisen? Ähnlich wie die Decke, die eigentlich ein Boden ist, ist alles doppelbödig, mehrdeutig, multivalent. „Echo“ von Susanne Pittroff ist nicht ein Stück unschuldiger mimimal art, die ihre eigenen Mittel thematisiert und zur Diskussion stellt, „Echo“ ist ein Stück subversiver Kunst, das sich den Mitteln der „minimal art“ ernsthaft und meisterlich bedient, um ein anderes Ziel zu erreichen und einen sozialen Diskurs zu eröffnen. Keiner wäscht seine Hände in Unschuld, nicht der Delinquent, nicht der Richter und auch nicht sein Henker und deren Publikum.

Es hat viel Spaß gemacht.